Anlässlich der bevorstehenden Osterferien und Ostertage sei an dieser Stelle einmal etwas zum Ostertermin angemerkt, der bekanntlich als beweglicher Feiertag von Jahr zu Jahr auf verschiedene Kalendertage fallen kann, und dazu, was Ostern mit Erhard Weigel zu tun hat.
In jedem Kalender können wir Ostern zuverlässig auffinden. Selbst auf mehrere Jahre im Voraus kann man sich dazu schlau machen. Wie aber kommt das Osterdatum in unsere Kalender?
Als sicheres Hilfsmittel für die Berechnung des Osterdatums (gemeint ist dabei immer der Ostersonntag) kann der Algorithmus herangezogen werden, den der Mathematiker Carl Friedrich Gauss Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zur Berechnung des Osterdatums entwickelt hat (hier als Arbeitsblatt ohne Formeln). Mit seiner Rechenvorschrift hat Gauss die komplexen und kompliziert anmutenden Vorgaben, die mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders für die Berechnung des Osterdatums gemacht wurden, in einen Rechenalgorithmus umgesetzt, den man heutzutage auch einfach programmieren kann.
Unabhängig von der Gauss’schen Berechnung des Osterdatums hört und liest man oft von der rein astronomischen Vorschrift, dass der Ostersonntag auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond festgelegt ist. Dabei würde man davon ausgehen, dass der Frühlingsvollmond der erste Vollmond ist, der im Frühling, also nach dem Frühlingsanfang, stattfindet. Die Astronomie besagt weiter, dass der Frühlingsanfang astronomisch der Tag ist, an welchem Tag und Nacht gleich lang sind. An diesem Tag geht die Sonne am Himmel durch den sogenannten Frühlingspunkt. Dieser astronomische Frühlingsanfang kann auf einen der drei Tage 19., 20. oder 21. März fallen. Der entsprechende Tag ist auch stets in unseren Kalendern als Frühlingsanfang gekennzeichnet. Damit scheint die Sache mit dem Ostertermin also eine klare Angelegenheit zu sein. Man weiß dank der Astronomie und ihrer präzisen Daten genau, wann Frühlingsanfang ist, kann den darauf folgenden Vollmond bestimmen und schon weiß man, wann Ostern ist. Tatsächlich?
Ganz so einfach scheint es dann wohl doch nicht zu sein. Knifflig wird das Ganze beispielsweise dann, wenn Frühlingsanfang und Vollmond zeitlich nahe beieinander liegen. So haben wir für 2019 das folgende Szenario:
- astronomischer Frühlingsanfang: Mittwoch 20. März 2019 (22:58 Uhr MEZ)
- erster Vollmond nach Frühlingsanfang: Donnerstag 21. März 2019 (2:43 Uhr MEZ)
- „Frühlingsvollmond“ der Osterfestrechnung: Freitag 19. April 2019 (13:12 Uhr MEZ)
- Ostersonntag: Sonntag 21. April 2019
Diesen Ostersonntag für das Jahr 2019 erhalten wir auch mittels der Gauss’schen Rechenvorschrift. Astronomisch korrekt wäre doch aber der Sonntag nach dem 21. März 2019, also der 24. März 2019, oder? Ostern findet also nicht an seinem astronomisch „wahren“ Tag statt? Obendrein gilt der astronomisch erste Frühlingsvollmond nicht für die Osterfestrechnung.
Die Situation, dass Ostern nicht auf den astronomisch „wahren“ Termin fällt, tritt gelegentlich ein und wird gemeinhin als Osterparadoxon bezeichnet.
Wer sich nach näheren Hintergründen für diese Phänomen fragt, dem hilft vielleicht ein Blick in die Geschichte. Hier kommt nämlich auch der religiöse Hintergrund des Osterfestes mit ins Spiel. Als wesentliche Eckpunkte sollen aber lediglich das Konzil von Nicäa im Jahre 325 und die Gregorianische Kalenderreform von 1582 erwähnt werden.
Das fragliche Konzil von Nicäa war eine vom römischen Kaiser Konstantin I. im Jahre 325 in der kleinen Stadt Nicäa einberufene Bischofskonferenz, die Grundfragen des christlichen Glaubens – so auch den Termin des in der christlichen Überlieferung bedeutsamen Festes der Auferstehung Jesu Christi – behandelte. Ein „Protokoll“ der Beschlüsse dieses Konzils gibt es allem Anschein nicht, aber die Überlieferung besagt, dass dieses Konzil in Sachen Ostertermin im Jahre 325 folgendes festgelegt hat:
- Kirchlicher Frühlingsanfang ist immer der 21. März.
- Der Frühlingsvollmond, auch „Kirchen-Vollmond“, ist der Vollmond, der bei oder nach diesem kirchlichen Frühlingsbeginn stattfindet.
- Ostersonntag ist am ersten Sonntag nach dem „Kirchen-Vollmond“ zu feiern.
Dreh- und Angelpunkt ist also der Frühlingsanfang, der in der kirchlichen Osterfestrechnung per-definitionem auf den 21. März gelegt ist. Der diesem kirchlichen Frühlingsanfang folgende „Kirchen-Vollmond“ kommt in der Osterfestrechnung des Gregorianischen Kalenders dem tatsächlichen astronomischen Vollmond außerordentlich nahe, aber es kann eben Abweichungen geben.
Zudem spielt es hierbei offenbar auch noch eine Rollen, um welche Uhrzeit der Vollmond genau stattfindet (und dann bzgl. welches Meridians?), da es ja direkt am 21. März 2019 dem Stichtag des Konzils von Nicäa (2:43 Uhr MEZ) einen Vollmond gab, „Kirchen-Vollmond“ aber erst der Vollmond am 19. April 2019 ist. Im Jahr 1799 hat es ebenfalls am 21. März einen Vollmond gegeben und Ostern war am 24. März 1799. Der Vollmond vom 21. März 1799 fand aber nachmittags 16:00 Uhr MEZ statt. Weitere Vollmonde am 21. März mit Ostern am darauf folgenden Sonntag gab es zum Beispiel in den Jahren 1856 oder 2008.
Der Gregorianische Kalender wurde im Jahre 1582 durch eine Verfügung des Papstes Gregor XIII. in Kraft gesetzt, um die aufgelaufene Abweichung des Julianischen Kalenders vom tatsächliches Jahreslauf der Sonne zu beheben. Mit dieser Kalenderreform wurde außerdem ein für die Osterfestrechnung maßgebliches Rechenschema eingeführt, das die astronomischen Vollmonddaten sehr gut approximiert und frühere Abweichungen auf ein historisches Minimum reduzierte. Mathematischer Kopf dieses Kalenders war der Jesuit Christoph Clavius. In Deutschland wurde der neue Kalender anfangs jedoch nur von den katholisch regierten Ländern übernommen. Die protestantischen lehnten ihn grundsätzlich ab (weil vom Papst angeordnet!). Man beachte die historisch kurz zuvor mit Luthers Thesenanschlag 1517 begonnene Reformation. Das Ganze zumindest führte zum Paradoxon einer doppelten Kalenderführung in Deutschland während des gesamten 17. Jahrhunderts. Im Zuge ständiger akademischer und theologischer Kontroversen hatte sich schließlich Erhard Weigel sowohl auf wissenschaftlichem als auch auf politischem Parkett jahrelang und bis zu seinem Tode dafür engagiert, dass endlich auch die Protestanten in Deutschland ihren Kalender dem tatsächlichen Lauf der Sonne anpassen und den neuen Kalender übernehmen. Da aber tiefe Gräben zwischen Katholiken und Protestanten eine einfache Übernahme des (katholischen) Gregorianischen Kalenders verhinderten und der neue Kalender der Protestanten nicht all zu Gregorianisch aussehen durfte – was er bzgl. des Kalendariums natürlich tat – wollte man sich in der Osterfestrechnung von den Katholiken abgrenzen. Zu dieser Zeit begann die Wissenschaft sich von der Kirche zu emanzipieren und insbesondere die aufstrebenden Naturwissenschaften entwickelten ein neues Selbstbewusstsein. In dieser naturwissenschaftlichen Aufbruchstimmung glaubten die trotzdem in ihrem Glauben tief verwurzelten Protestanten unter den Wissenschaftlern mit einer astronomisch korrekten Bestimmung des Osterdatums sogar, bessere Christen zu sein. Sie gingen überdies soweit, dass sie annahmen, die astronomischen Fakten würden sogar den Papst überzeugen können, die mit dem Gregorianischen Kalender verknüpfte formal rechnerische durch eine auf astronomischen Beobachtungsdaten basierende Bestimmung des Osterfestes abzulösen. Denn es war bereits damals, also vor mehr als dreihundert Jahren, bekannt, dass es durch die zyklische Osterfestrechnung des Gregorianischen Kalenders zu Abweichungen vom astronomisch „wahren“ Osterdatum kommen kann. Die (protestantische) Kalenderreform wurde schließlich 1700 (genau zu dem Zeitpunkt, als die Differenz zwischen beiden Kalendern von 10 auf 11 Tage angewachsen war) und tatsächlich mit einer astronomischen Osterfestrechnung basierend auf den Rudolfinischen Tafeln von Johannes Keplers realisiert. In den Jahren 1724 und 1744 fiel Ostern dann nach katholischer und evangelischer Berechnung auf zwei verschiedene Termine, was dazu führte, dass die evangelischen und katholischen Christen in Deutschland zu unterschiedlichen Terminen Ostern feierten. Auf Veranlassung Friedrichs II. (1712–1786) wurde schließlich im Jahre 1775, da Ostern 1778 wieder auf zwei verschiedene Termine zu fallen drohte, die astronomische Osterfestrechnung abgeschafft und de facto der Gregorianische Kalender endgültig – auch mit seiner Osterfestrechnung – übernommen.