Erschließung des Werkes durch die Sekundärliteratur

Pädagogik
Die Pädagogik ist das am besten erschlossene Gebiet des Werks von Erhard Weigel. Schon gegen Ende des 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. wurden durch die Arbeiten von A. Israel[1] und G. Wagner[2] wichtige Prinzipien der Weigelschen Pädagogik herausgearbeitet. Durch die Monographien von H. Schlee[3] und W. Hestermeyer[4] sind wesentliche Bereiche des pädagogischen Denkens von Weigel, wie die Didaktik und der Aufbau der Tugendschule bearbeitet und dargestellt worden. Als pädagogischer Klassiker wird er jedoch nicht gesehen. Mit seinen Forderungen nach Anschaulichkeit des Unterrichts, Förderung des Realienunterrichts und Aufwertung der Muttersprache ist er einzureihen in die Traditionslinie solcher Pädagogen wie W. Ratke, J.A. Comenius und A. Reyher. Für K. Schaller ist an der Pädagogik Weigels bedeutend, dass hier „das neuzeitliche Konzept von Erziehung als eine auf den Willen gerichtete Maßnahme vorgetragen und […] von ihm begründet“[5] wird. Neuere Untersuchungen heben hervor, dass sich ausgesprochen moderne Ansichten zur Unterrichtsgestaltung bei Weigel finden, wie z.B. die Affinität von Weigelschen Unterrichtsprinzipien zur sokratischen Methode[6] und es ist sogar gefordert worden: „Der Name Erhard Weigels sollte in die Geschichte der Pädagogik neu eingeschrieben werden.“[7]

Defizite bestehen vor allem in zwei Bereichen. Oft erwähnt aber wenig untersucht ist die von Weigel in den 80er Jahren in seinem eigenen Wohnhaus eingerichtete Tugendschule.[8] Dabei fehlt eine Darstellung, welche die handschriftlichen Quellen einbezieht. Im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar befindet sich unter der Signatur A 7727 ein Konvolut von Briefen und Manuskripten mit dem Titel „Acta des Mathematici Weigels Scripta et inventiones Mathematicas, wie auch aufgerichtete Kunst & Tugend-Schule betr. 1658. bis 1694.“ Diese Akte enthält Material zu den Schulversuchen, die Weigel in den 80er Jahren in seinem eigenen Haus eingerichtet hatte und die einer eingehenden Auswertung noch harren.

Außerdem ist noch nicht geklärt, wie die pädagogischen Anschauungen von Weigel zusammenhängen mit seinem pansophischen Grundkonzept. Was z.B. K. Schaller für Comenius deutlich herausgearbeitet hat, ist im Fall Weigels noch zu leisten.

Philosophie
Üblicherweise hat die philosophische Forschung in Weigel vor allem den Lehrer von Leibniz gesehen und in Untersuchungen versucht, den Einfluss von Weigel auf seinen Schüler nachzuweisen.[9] Aber gerade die umfassendste dieser Untersuchungen[10] hat gezeigt, dass Weigel mit Leibniz erst dann verglichen werden kann, wenn zuvor seine eigenen Anschauungen separat rekonstruiert worden sind.[11] Damit hat sich das Herangehen geändert und Weigel wurde verstärkt als eigenständiger Denker wahrgenommen und nicht nur als Stichwortgeber seines bedeutendsten Schülers.[12]

Für K. Moll sind Desiderate der Forschung in dieser Disziplin vor allem „… die Untersuchung von Weigels philosophischen Quellen, insbesondere seiner Stellung zu Kepler und zu Galilei, die Klärung, wie stark seine eigenwillige Aristoteles-Interpretation auf Quellenstudien beruht, und die Bestimmung seines Einflusses auf Wolffs philosophische Entwicklung.“[13] Des Weiteren bedarf seine pansophische Lehre noch einer systematischen Rekonstruktion, wobei sie mit anderen pansophischen Systemen – z.B. dem von Comenius – zu vergleichen ist. Auch sein tetraktysches System ist erst ansatzweise untersucht worden.

Mathematik und Naturwissenschaften
Weigel war seit 1653 Professor der Mathematik an der Universität Jena. Als solcher war er – dem damaligen weiten Begriff von Mathematik folgend – zuständig nicht nur für die im engeren Sinn mathematischen Fächer, wie z.B. Geometrie und Arithmetik, sondern auch für deren praktische Umsetzung in Architektur und Fortifikation.[14] Als Mathematiker ist er auch von seinen Zeitgenossen wahrgenommen worden. In der Rezeptionsgeschichte wirkt jedoch bis heute das Verdikt des Mathematikhistorikers Max Cantor fort, demzufolge „Weigels Mathematik […] als Beispiel für die Bedürfnislosigkeit gelten [kann], welche damals ausnahmslose Regel an deutschen Universitäten bildete. Die Schriften des Descartes hat er niemals studiert, er würde sie auch nicht verstanden haben. […] Wir mussten gerade wegen der Unbedeutendheit des Mannes bei ihm verweilen, denn er […] gibt uns den Maßstab für die damals an deutschen Universitäten gelehrte Mathematik. Und dieser Mann war Leibnizens Lehrer?“[15]

Eine solche Einschätzung ist geeignet, jegliche Beschäftigung mit Weigel als Mathematiker und Naturwissenschaftler zu diskreditieren. Dabei hält die These einer kritischen Nachprüfung nicht stand. Nachweislich falsch ist die Behauptung, dass Weigel die Schriften von Descartes nicht gekannt habe.[16] Und wenn man davon ausgeht, dass sich unter seinen Schülern nicht ganz unbedeutende Astronomen und Mathematiker, wie J.C. Sturm, G.W. Leibniz, G.S. Dörffel und G.C. Eimmart befinden, dann erscheint die Einschätzung von Cantor zumindest überdenkenswert. Es fehlen Analysen der einzelnen mathematisch-naturwissenschaftlichen Schriften von Weigel.

Erfindungen
Wenig wissen wir über Weigel als Erfinder. Seinem Selbstverständnis nach sah es Weigel als seine wichtigste Aufgabe an, Erfindungen zu machen, die für das Wohl des Gemeinwesens von Nutzen sind. In einigen seiner Schriften veröffentlichte er Verzeichnisse dieser Inventionen.[17] Es fehlt ein geprüftes Gesamtverzeichnis[18], sowie spezielle Untersuchungen zu den einzelnen Erfindungen von Weigel.[19]

Zu den bekannteren seiner Inventionen zählen die heraldischen Himmelsgloben. Einzelne dieser Globen sind in der Literatur schon beschrieben worden.[20] Die meisten dieser Globen wurden jedoch bisher noch nicht untersucht und eine Gesamtdarstellung dieser Himmelsgloben[21], die auch die zahlreichen, z.T. umfangreichen Schriften von Weigel zu diesem Thema[22] auswertet, steht noch aus.

Von besonderem Interesse sind die von Weigel Pancosmos genannten übermannsgroßen begehbaren Himmelsgloben.[23] Ein erster solcher Globus wurde 1661 auf dem Dach des umgebauten Jenaer Schlosses befestigt.[24] Diese Himmelskugel hatte einen Durchmesser von etwa 5,5 m und war damit größer als die Globen von Coronelli[25] bzw. der Gottorfer Globus.[26] Weitere solcher großen begehbaren Himmelsgloben fertigte Weigel noch in seinen späten Jahren an und übergab z.B. dem dänischen König, Christian V., anlässlich eines Besuches in Kopenhagen im Jahr 1696 ein Exemplar. Über den Verbleib dieser Globen ist nichts bekannt. Gerade weil diese begehbaren Globen Vorläufer der heutigen Planetarien sind, ist eine nähere Kenntnis ihres Aufbaus und der Funktionsprinzipien von großem Interesse.


[1] A. Israel: Die pädagogischen Bestrebungen Erhard Weigels. Ein Beitrag zur Geschichte der pädagogischen Zustände im 17. Jahrhundert. Zschopau 1883/84.
[2] G. Wagner: Erhard Weigel, ein Erzieher des XVII. Jahrhunderts. Diss. Leipzig 1903.
[3] H. Schlee: Erhard Weigel und sein süddeutscher Schülerkreis. Eine pädagogische Bewegung im 17. Jahrhundert. Heidelberg 1968.
[4] W. Hestermeyer: Paedagogia mathematica. Idee einer universellen Mathematik als Grundlage der Menschenbildung in der Didaktik Erhard Weigels. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des pädagogischen Realismus im 17. Jahrhundert. Paderborn 1969.
[5] K. Schaller: Erhard Weigels Einfluß auf die systematische Pädagogik der Neuzeit. In: Studia Leibnitiana 3 (1971), S. 29.
[6] R. Loska: Lehren ohne Belehrung. Leonard Nelsons neosokratische Methode der Gesprächsführung. Bad Heilbrunn 1995, S. 17–37.
[7] L. Friedrich: Pädagogische Perspektiven zwischen Barock und Aufklärung. Die Pädagogik Erhard Weigels. In: R.E. Schielicke, K.-D. Herbst und S. Kratochwil (Hrsg.): Erhard Weigel – 1625 bis 1699. Barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung. Beiträge des Kolloquiums anlässlich seines 300. Todestages am 20. März 1999 in Jena. Thun und Frankfurt am Main 1999, S. 39-68, hier S. 68. Online
[8] Vgl. dazu H. Schlee: Erhard Weigel … (wie Fn. 3), S. 78–90.
[9] Z.B. W. Voisé: Meister und Schüler: Erhard Weigel und Gottfried Wilhelm Leibniz. In: Studia Leibnitiana 3 (1971), S. 55–67.
[10] K. Moll: Der junge Leibniz I. Die wissenschaftstheoretische Problemstellung seines ersten Systementwurfs. Der Anschluss an Erhard Weigels Scientia Generalis. Stuttgart – Bad Canstatt 1978.
[11] Wichtige Vorarbeiten von W. Röd: Erhard Weigels Lehre von den entia moralia. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 51 (1969), S. 58–84. Ders.: Erhard Weigels Metaphysik der Gesellschaft und des Staates. In: Studia Leibnitiana 3 (1971), S. 5–28.
[12] Eine zusammenfassende Darstellung von Weigels philosophischen Anschauungen gibt U.G. Leinsle: Reformversuche protestantischer Metaphysik im Zeitalter des Rationalismus. Augsburg 1988, S. 63–87.
[13] K. Moll: Erhard Weigel. In: Grundriß der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Band 4. Hrsg. von H. Holzhey und W. Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von V. Murdoch. Basel 2001, S. 956.
[14] Das erklärt auch, warum ihm die Funktionen eines Hofbaumeisters und Stadtbaudirektors übertragen wurden.
[15] M. Cantor: Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. Band 3, Leipzig 1901, S. 29.
[16] Vgl. Weigels Schrift Von der Vortrefflichkeit und Nutzbarkeit der mathematischen Philosophie gegen der scholastischen und der cartesianischen. Jena 1693. Inwieweit Weigels Descartes-Interpretation diesem gerecht wird, wäre Gegenstand einer gesonderten Untersuchung.
[17] Z.B. in der Idea matheseos universae cum speciminibus inventionum mathematicarum von 1669. Dasselbe Verzeichnis erschien ein Jahr später separat unter dem Titel Mathematische Kunstübungen sampt ihrem Anhang.
[18] Ein Vorarbeit dazu findet sich bei E. Spieß: Erhard Weigel, weiland Professor der Mathematik und Astronomie zu Jena, der Lehrer von Leibnitz und Pufendorf. Ein Lebensbild aus der Universitäts- und Gelehrtengeschichte des 17. Jahrhunderts, gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte der Erfindungen sowie zur Geschichte der Pädagogik. Leipzig 1881, S. 65–78.
[19] Zur Schnellpresse vgl. C.W. Gerhardt und C. Hendricks: Die Erfindung einer Buchdruckerpresse für Ein-Mann-Bedienung im Jahr 1696. In: Archiv für die Geschichte des Buchwesens 29 (1987), S. 311–315.
[20] Z.B. für den Globus in der Forschungsbibliothek Gotha W. Horn: Der heraldische Himmelsglobus des Erhard Weigel. In: Der Globusfreund 8 (1959),  S. 17–28.
[21] Eine Vorarbeit dazu bei S. Kratochwil: Die Himmelsgloben von Erhard Weigel. In: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte 6 (2004), S. 41–54.
[22] Ein Verzeichnis dieser Schriften findet man in ebd., S. 53 f.
[23] Zu diesen Globen allgemein L. Meier: Der Himmel auf Erden. Die Welt der Planetarien. Leipzig/Heidelberg 1992, S. 32-37.
[24] Vgl. dazu die Darstellung bei D. Endler: Das Jenaer Schloss. Die Residenz des Herzogtums Sachsen-Jena. Rudolstadt & Jena 1999, S. 48–51.
[25] Vgl. dazu R. Kejlbo: Rare Globes. A cultural-historical exposition of selected terrestrial and celestial globes made before 1850. Kopenhagen 1995, S. 92.
[26] Vgl. dazu die Rekonstruktion bei F. Lühning: Der Gottorfer Globus und das Globushaus im „Newen Werck“. Dokumentation und Rekonstruktion eines frühbarocken Weltheaters. Schleswig 1997.

Zur Biographie Erhard Weigels
Ausblick