Zur Biographie Erhard Weigels

Die einzige umfangreiche Biographie Weigels ist nach 136 Jahren immer noch die Arbeit von E. Spieß.[1] Sie bietet eine Darstellung des Lebenslaufs, der in weiteren Kapiteln thematisch vertieft wird. Obwohl diese Biographie für ein erstes Kennenlernen weiterhin zu empfehlen ist, sind ihre Mängel bzw. Lücken jedoch offensichtlich geworden. So hat Spieß zwar handschriftliches Material in seiner Arbeit berücksichtigt, dies jedoch nur sehr selektiv. So wurde von ihm lediglich Material berücksichtigt, das ihm damals leicht zugänglich war.[2] In vielen Bereichen des Lebens und Werks von Weigel hat die Forschung seitdem neue Erkenntnisse gewonnen. Unbedingt erforderlich ist also eine neue Biographie, welche die Weigel betreffenden Archivalien umfassend auswertet und dabei auch die Ergebnisse der Forschung berücksichtigt. Im folgenden sollen die Defizite unserer Kenntnisse hinsichtlich der einzelnen Lebensphasen benannt werden.

Die Kindheit und Jugend Weigels wurde von C. Schaper[3] untersucht, die sich dabei auf die Quellen in den Stadtarchiven von Weiden und Wunsiedel stützte. Eine Nachprüfung hat ergeben, dass diese Bestände vom Umfang sehr dürftig sind und von Schaper in ihrer Gesamtheit ausgewertet wurden. Eine weitere Aufklärung über Weigels frühe Jahre ist daher eher unwahrscheinlich.

Von 1644 bis 1647 besuchte Weigel das akademische Gymnasium in Halle. Gerade diese Lebensphase ist von der Forschung bisher weitgehend vernachlässigt worden. Die Kenntnisse über die Hallenser Zeit beruhen auf den Angaben bei Zedler und Jöcher und sind noch nicht quellenkritisch geprüft worden. Der Einfluss seiner Lehrer, insbesondere des Astrologen Bartholomaeus Schimpfer[4] und des Gymnasialrektors Christian Gueinz[5] auf den heranwachsenden Weigel zu untersuchen, ist dabei besonders erforderlich. Was die Studienzeit in Leipzig betrifft, sind wir durch die Arbeit von D. Döring[6] besser unterrichtet. Doch auch zu dieser Lebensphase dürfte eine weitere Recherche noch neues Material zu Tage fördern.

Mit der Berufung als Professor der Mathematik an die Universität Jena im Jahr 1653[7] findet Weigel einen Wirkungsort, der bis zu seinem Tod 1699 Mittelpunkt seiner Aktivitäten bleiben wird. Über die Eckdaten seiner Jenaer Jahre sind wir durch die Arbeit von Spieß informiert. Allerdings entstehen bald bisher unbeantwortete Fragen, wenn man zu Details genaueres wissen will. Unklar ist z.B. die soziale Situation des Mathematikprofessors. Über welche Einnahmequellen verfügte er? Bekannt ist, dass Weigel sich um diverse Ämter und Titel erfolgreich bemüht hat (Inspektor der Alumnen, Hofmathematicus, Pfalz-Sulzbachscher Rat, Kaiserlicher Rat etc.). Wie dies konkret vonstatten ging und welche Vergütungen damit verbunden waren, ist weitgehend unbekannt. Das gilt auch für die Beziehungen von Weigel zu den Nutritoren der Universität Jena.[8]

Des Weiteren wissen wir wenig über die familiären Verhältnisse von Weigel. Bekannt ist, dass er 1653 in Leipzig die verwitwete Elisabeth Hartmann heiratete. Diese brachte acht Kinder aus erster Ehe mit in die neue Beziehung, so dass Weigel schon als junger Professor die Verantwortung für eine vielköpfige Familie übernommen hatte. Wie sich dieses Familienleben gestaltete, liegt zum größten Teil im Dunklen. Auch zu diesem Thema dürfte der Briefwechsel wichtige Informationen enthalten.

Obwohl bekannt ist, dass Weigel die meiste Zeit seines Lebens Hochschullehrer war und er, wenn man sich die stattliche Zahl und die Bedeutung seiner Schüler vergegenwärtigt,[9] dabei als erfolgreich angesehen werden darf, ist über die konkreten Umstände dieser Tätigkeit relativ wenig bekannt. Es fehlt z.B. ein Verzeichnis der von ihm angekündigten Vorlesungen, obwohl die Universitätsprogramme der damaligen Zeit weitgehend überliefert sind. Die bisherigen Verzeichnisse[10] sind lückenhaft und müssen unbedingt ergänzt werden. Wie eine Vorlesung von Weigel aufgebaut war, lässt sich rekonstruieren, da sich Mitschriften erhalten haben.[11] Eine kommentierte Edition dieser Vorlesungen würde unsere Kenntnisse über Weigels Lehrtätigkeit bedeutend erweitern.

Ein weiteres Forschungsdesiderat besteht hinsichtlich der Bemühungen von Weigel in seinen letzten Lebensjahren. In diesen setzte er sich mit besonderer Ausdauer für die Realisierung zweier Projekte ein: das collegium artis consultorum und die Kalenderreform im protestantischen Reichsgebiet. Das collegium artis consultorum sollte eine reichsweite, konfessionsübergreifende Akademie der Realwissenschaften sein. Mit ihm sollte ein organisatorischer Rahmen geschaffen werden, der die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete ermöglicht. Zweck dieser Arbeit war die Förderung der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik im deutschen Reichsgebiet, um den Anschluss an das westeuropäische Niveau wiederzugewinnen.

Die Finanzierung sollte durch das Kalendermonopol gesichert werden. Ob das collegium überhaupt gegründet wurde und seine Arbeit aufgenommen hat, ist nicht gewiss. Sicher ist nur, dass Leibniz ein Jahr nach dem Tod seines Lehrers dessen Idee abkupferte und in Berlin eine Societät gründete, die – wenn auch in deutlich reduzierter Weise – die Vorstellungen von Weigel aufnahm. Es fehlt eine Untersuchung der Bemühungen von Weigel sowie der daran beteiligten Personen. Eine solche Arbeit kann sich stützen auf umfangreiche Akten in Göttingen[12] und in St. Petersburg.[13]

Über Weigels Beitrag zur Kalenderreform sind wir durch die Arbeit von J. Hamel[14] unterrichtet. Durch die noch ausstehende Auswertung der umfangreichen Archivbestände zu diesem Thema[15] dürfte aber unsere Kenntnis der konkreten Vorgänge während der Reform erweitert werden können.


[1] E. Spieß: Erhard Weigel, weiland Professor der Mathematik und Astronomie zu Jena, der Lehrer von Leibnitz und Pufendorf. Ein Lebensbild aus der Universitäts- und Gelehrtengeschichte des 17. Jahrhunderts, gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte der Erfindungen sowie zur Geschichte der Pädagogik. Leipzig 1881. Online
[2] Spieß war zu dieser Zeit Universitätslehrer in Jena. Das von ihm eingesehene Material stammt ausschließlich aus dem Staatsarchiv in Weimar.
[3] C. Schaper: Neue archivalische Forschungen zur Lebensgeschichte von Professor Erhard Weigel. In: Archiv für die Geschichte von Oberfranken 39 (1959), S. 97–140.
[4] Klaus-Dieter Herbst hat im von ihm herausgegebenen Biobibliographisches Handbuch der Kalendermacher von 1550 bis 1750 zusammengestellt, was bisher über diesen Gelehrten bekannt ist: Bartholomaeus Schimpffer.
[5] Gueinz war Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft und Verfasser einer deutschen Grammatik. Die Aufwertung des muttersprachlichen Unterrichts bei Weigel könnte durch ihn angeregt worden sein.
[6] D. Döring: Erhard Weigels Zeit an der Universität Leipzig (1647–1653). In: R.E. Schielicke, K.-D. Herbst und S. Kratochwil (Hrsg.): Erhard Weigel – 1625 bis 1699. Barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung. Beiträge des Kolloquiums anlässlich seines 300. Todestages am 20. März 1999 in Jena. Thun und Frankfurt am Main 1999, S. 69–90. Online
[7] S. Kratochwil: Die Berufung Erhard Weigels an die Universität Jena. In: Ebd., S. 91–103.
[8] Vgl. aber S. Kratochwil: Ernst der Fromme und Erhard Weigel. In: R. Jacobsen und H.-J. Ruge (Hrsg.): Ernst der Fromme (1601-1675). Staatsmann und Reformer. Bucha bei Jena 2002, S. 249–260.
[9] Ein Verzeichnis seiner Schüler gibt H. Schlee: Erhard Weigel und sein süddeutscher Schülerkreis. Eine pädagogische Bewegung im 17. Jahrhundert. Heidelberg 1968, S. 131–141. Weitere, jeweils aktualisierte, Schüler-Verzeichnisse erschienen in den Tagungsbänden zu den Weigel-Kolloquien 2011, Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Erhard Weigel (1625–1699) und die Wissenschaften. Frankfurt a. M. 2013, S. 159–180, und 2014, Katharina Habermann, Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Erhard Weigel und (1625–1699) und seine Schüler. Göttingen 2016, S. 345–365. Siehe auch Studenten, die bei Weigel studierten.
[10] Vgl. z.B. W. Fricke: Die Mathematik an Academie und Universität Jena 1548–1939. Jena 1958, Bd. 1, S. 67.
[11] Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung, Signatur Uffenb. 45 und Philos. 31. Es handelt sich dabei um Mitschriften einer Vorlesung von 1665 (im Umfang von 27 Seiten) und einer Vorlesung von 1660 (im Umfang von 369 Seiten).
[12] Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung mit der Signatur Philos. 60. Eine Beschreibung dieser Akte findet sich bei W. Meyer: Die Handschriften in Göttingen. Band 1, Berlin 1893, S. 153–162. Eine ergänzte Beschreibung ist im Tagungsband zum Weigel-Kolloquium 2014 enthalten, Katharina Habermann, Klaus-Dieter Herbst (Hrsg.): Erhard Weigel und (1625–1699) und seine Schüler. Göttingen 2016, S. 325–343.
[13] In der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg befindet sich der umfangreiche Nachlass des Weigelschülers Georg Christoph Eimmart (1638–1705). Der 57 Bände umfassende Nachlass enthält zahlreiche Briefe und weiteres Material insbesondere zum collegium. Eine Teilbeschreibung des Eimmart-Nachlasses findet man bei O. Feyl: Ein unbekanntes Erbe der Weigel-Zeit der Universität Jena in der Sowjetunion. Der Leningrader Eimmart-Nachlass vom Ende des 17. Jahrhunderts und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 8 (1958/59), S. 41–47.
[14] J. Hamel: Erhard Weigel und die Kalenderreform des Jahres 1700. In:  R.E. Schielicke, K.-D. Herbst und S. Kratochwil (Hrsg.): Erhard Weigel – 1625 bis 1699. Barocker Erzvater der deutschen Frühaufklärung. Beiträge des Kolloquiums anlässlich seines 300. Todestages am 20. März 1999 in Jena. Thun und Frankfurt am Main 1999, S. 135–156.
[15] Insbesondere die Bestände in Göttingen, Wien und St. Petersburg.

Zugänglichkeit des Werkes und der Quellen für die Biographie
Erschließung des Werkes durch die Sekundärliteratur